Der Staat kann eine internationale Metropole nicht dem Sumpf überlasssen
Warum steigt in weiten Teilen Berlins das Grundwasser auf gefährliche Höhen? Diese Frage läßt sich nur mit einem Blick in die Geschichte beantworten.
Ursprünglich stand Berlin auf ziemlich feuchtem Grund. Zahlreiche Straßenbezeichnungen, die auf -damm enden, zeugen davon, dass man sich durch Sumpfgebiet bewegte. Das änderte sich in den Jahren nach 1870 recht gründlich. Die Einwohnerzahl und die industrielle Produktion nahmen in den folgenden Jahrzehnten einen enormen Aufschwung. Das hatte einen stetig wachsenden Wasserbedarf zur Folge, den Berlin aus dem eigenen Stadtgebiet deckte. Der Grundwasserspiegel fiel deswegen kontinuierlich und erreichte um 1935 seinen tiefsten Stand.
Mit der Zerstörung großer Teile der Stadt im Zweiten Weltkrieg änderte sich die Lage dramatisch. Weniger Wasser wurde verbraucht, und das Grundwasser stieg ziemlich weit in Richtung des natürlichen Sumpfzustandes.
Doch etwa ab 1960 trat eine erneute Änderung ein. Die politisch geteilte Stadt stellte als Gesamtsiedlungsgebiet wieder eine Millionenmetropole dar. Der Wasserverbrauch der Bevölkerung beiderseits der Mauer folgte den Ansprüchen moderner Lebensgewohnheiten, zu denen Bäder, Duschen, Waschmaschinen und andere Gerätschaften gehörten. Im Osten war bei alledem der Wasserpreis so niedrig, dass er für die Bevölkerung keine Rolle spielte, was auch dem Grundwasserspiegel im Westen der Stadt zugute kam. Der Osten Berlins fungierte zudem als ein industrielles Zentrum der DDR. Auch im Westteil gab es zahlreiche wichtige Produktionsbetriebe, die zum Teil aus politischen Gründen in der Stadt gehalten oder angesiedelt wurden.
Der Grundwasserspiegel sank in dieser Zeit etwa auf das Niveau der 1920er Jahre.
So blieben die Verhältnisse bis in die 1990er Jahre. Die Zeit danach wirkte auf das Grundwasserniveau wie der Zweite Weltkrieg. Großbetriebe im Osten wurden „abgewickelt“, viele Produktionen im Westen stillgelegt. Mit der faktischen Deindustrialisierung Berlins verschwanden die größten Wasserverbraucher. Gleichzeitig ging der Wasserverbrauch der Bevölkerung stark zurück. Schuld daran ist nicht nur die Nutzung neuer, wassersparender Haushaltsgeräte, sondern insbesondere der ökonomische Zwang, der auf die Verbraucher zum Wassersparen ausgeübt wird.
Einen ersten Sparschub gab es, als Anfang der 1990er Jahre der Westwasserpreis auch im Osten Berlins eingeführt wurde. Den zweiten Schub brachte die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahr 1999, die zwei Großkonzernen als Anteilseignern Renditegarantien gab. Seitdem erlebte der Wasserpreis in Berlin einen Anstieg um 30 Prozent. Das Bundeskartellamt geht heute davon aus, dass er um bis zu 25 Prozent über der Billigkeitsgrenze liegt. In dieser Zeit wurden mehrere Wasserwerke geschlossen. Der Wasserverbrauch hat sich seit 1990 halbiert.
Ebenso zum Problem wurde der verantwortungslose Umgang mit vorhandenen Anlagen zur Ableitung von Schichtenwasser, zum Beispiel in Pankow. Zu DDR-Zeiten gepflegte Drainagen, die Wasser von privatem wie öffentlichem Land aufnahmen und in Gräben ableiteten, wurden zum großen Teil zerstört bzw. dem Verfall anheimgegeben. Weder das Land Berlin noch die Wasserbetriebe wollten Verantwortung dafür übernehmen. Zugleich machen sich Folgen des Klimawandels bemerkbar mit höheren Niederschlagsmengen und höheren Wasserständen der Spree. Selbst die Stilllegung von Tagebauen im Lausitzer Braunkohlegebiet und deren Renaturierung als Seenlandschaft beeinflusst den Grundwasserpegel im Berliner Urstromtal.
Während der historische Rückblick korrekt ist, zeigen neuere Studien und Behördenmeldungen, dass die Grundwasserstände in Berlin heute sehr unterschiedlich reagieren. Nicht überall steigt das Grundwasser: In vielen Stadtteilen sind die Pegel durch den Klimawandel mit anhaltenden Dürreperioden sowie durch Übernutzung der Grundwasservorkommen sogar gesunken oder unterliegen starken Schwankungen. Besonders der Südosten Berlins ist inzwischen von lokalem „Grundwasserstress“ betroffen, mit negativen Folgen für Ökosysteme und die Sicherstellung der Wasserversorgung. Gleichzeitig bestehen im Berliner Urstromtal und in belasteten Kiezen nach wie vor gravierende Probleme mit zu hohem Grundwasser oder eindringendem Schichtenwasser. Das macht die Lage komplexer, aber auch dringlicher.
Politische Verantwortung und Maßnahmen Die Einschätzung , dass die Verantwortung lange Zeit einseitig auf Grundstückseigentümer abgeschoben wurde, trifft weiter zu. Seit 2024 allerdings greift die Politik erste Initiativen auf. Neben dem „Runden Tisch Grundwasser“ wurden Programme zur Regulierung und Schadenssanierung gestartet. Zudem arbeitet die Verwaltung mit der aktualisierten „Berliner Liste 2025“ (Bewertungskriterien für Grundwasserverunreinigungen). Trotzdem hält der VDGN an seiner Kritik fest: Die Verantwortung des Landes, siedlungsverträgliche Wasserstände zu garantieren, darf nicht relativiert werden.
Klimawandel und Renaturierung Der Einfluss des Klimawandels auf die Grundwassersituation ist inzwischen unübersehbar: veränderte Niederschlagsmuster, Hitzeperioden und Extremwetter belasten Berlins Wasserbilanz dauerhaft. Auch die Renaturierung früherer Tagebaue in der Lausitz hat Folgen für die Region und stellt eine bleibende Herausforderung für das gesamte Wasserhaushaltsmanagement dar.
Kann man da nichts machen? Ist Berlin diesen Entwicklungen hilflos ausgeliefert? Die bisher vorherrschende Meinung im Senat hat diese Frage bejaht. Noch immer wird Verantwortung gegenüber den betroffenen Bürgern nicht konsequent übernommen. Doch das muss sich grundlegend ändern. Berlin ist eine Metropole von internationaler Geltung und kein Renaturierungsgebiet, das getrost wieder dem Sumpf überlassen werden könnte. Die Stadt braucht ein landesweites Grundwassermanagement – und das Gemeinwesen muss es als seine Aufgabe begreifen und finanzieren.