Von der Politik verursacht

16.04.2008

VDGN-Stellungnahme zur Erhebung von Beiträgen für „Altanschlüsse“ in Brandenburg

Anläßlich der öffentlichen Anhörung im Landtag von Brandenburg zur Erhebung von Beiträgen für "Altanschlüsse" hat der VDGN folgende Stellungnahme zu diesem Problem vorgelegt:

1. Die finanziellen Defizite, die sich über Jahre in der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung im Land Brandenburg aufgebaut haben, sind keiner besonderen Gruppe von Bürgern, weder den sog. Altanschließern, noch den Grundstückseigentümern, zuzuordnen.

Sie sind durch die Politik verursacht: sowohl falsche Einschätzungen der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Lande als auch die auf Eigennutz gerichteten Beratungen seitens der aus den alten Bundesländern importierten „Spezialisten“ führten flächendeckend zu überdimensionierten, unwirtschaftlichen Anlagen. Auch den Banken kam die Investitionstätigkeit zugute.

Hier sind seitens der Regierung des Landes Lösungen zu erarbeiten, die von der gesamten Gesellschaft zu tragen sind, nicht allein von den Grundstückseigentümern.

Wenn Geld dafür gebraucht wird, die bestehenden wasserwirtschaftlichen Anlagen auf dem Stand der Technik zu halten und die entsprechenden Umwelt- Forderungen der EU zu erfüllen, hat das Land hierfür die Voraussetzungen zu schaffen.

Was die Allgemeinheit braucht, muß die Gesellschaft bezahlen.
Die Abwälzung auf eine einzige Bevölkerungsgruppe – hier: die Grundstückseigentümer-, die damit an den Rand ihrer Existenz getrieben wird, ist unserer Meinung nach nicht nur höchst unmoralisch, sondern birgt für die Zukunft auch unüberschaubare Gefahren: Verzweiflung, Politikverdrossenheit und Vertrauensschwund in die demokratischen Parteien spielt den undemokratischen Parteien Wähler zu.

2. Es ist nicht einsehbar, warum altangeschlossene Grundstückseigentümer und Neuanschließer die gleichen Anschlußbeiträge für den Anschluß an die Kanalisation zahlen müssen. In den hier besprochenen Urteilen, die den Wasser- und Abwasserzweckverband Fürstenwalde und Umland betreffen, werden den Altanschließern ebenso wie den Neuanschließern die gleichen Beiträge in Höhe von 2,33 Euro/ qm abverlangt. Obwohl die Altanschließer über 18 Jahre lang regelmäßig mit den Gebühren auch die Abschreibungen für die Investitionen bezahlt haben. In den Gebühren sind bereits nicht unerhebliche Anteile für Instandhaltungs-, Reparatur- und Erneuerungsmaßnahmen enthalten.

Hier kommt es zu einer ungerechtfertigten doppelten finanziellen Belastung der Altanschließer.

Altanschließer, die seit Jahrzehnten an den Kanal angeschlossen sind, haben weder einen materiellen, finanziellen, noch einen wie auch immer fiktiv konstruierten Vorteil.

Eine Wertsteigerung des Grundstückes erfolgt eben nicht. Wie bekannt, sind sowohl die Bevölkerungsentwicklung als auch die Bodenpreise in den neuen Bundesländern rückläufig.

Ohnehin ist ein Anschluß an eine ordnungsgemäße Abwasserentsorgung heute kein besonders hervorzuhebender wertsteigernder „Luxus“- Faktor, sondern normaler, zeitgemäßer Standard.

In vielen Fällen haben die Bürger die Kanäle oder Trinkwasserleitungen in der Vergangenheit sogar in Eigenleistung selbst verlegt.

Ein Beispiel aus der Fürstenwalder Puschkinstraße zeigt, daß dort 50 Grundstückseigentürmer 1987 eine Abwasserkanalisation im Wert von rund 110.000 Euro (nach heutigem Wertmaßstab) mit eigenen Hände geschachtet haben. Ohne daß in der Zwischenzeit etwas erneuert oder ergänzt wurde, müssen sie dafür jetzt entsprechend dem Urteil mit einem Beitragsbescheid für einen Erstanschluß rechnen.

3. Der „Geist“ des Einigungsvertrages verlangte nach Gerechtigkeit:
In der Anlage 1.14, Kapitel XIV. Abschn. II, Ziffer 1.11 heißt es: „Für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, kann nach diesem Gesetzbuch ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden.“

Wenn man sich die Systematik des Einigungsvertrages ansieht, dann liegt die Vermutung nahe, daß die hohen vertragsschließenden Seiten damals von einem unterschiedlichen Inhalt des Begriffes „Erschließung“ ausgegangen sind:

In der DDR verstand man unter „Erschließung“ alles, was ein Grundstück benötigt, also sowohl Strom, Gas, Straße, Wärme, Wasser und Abwasser. Die Kosten hierfür wurden aus dem Staatshaushalt finanziert, aus der sog. „zweiten Lohntüte“ der Werktätigen.

In den alten Bundesländern dagegen faßt man den Begriff „Erschließungsanlagen“ bis heute bedeutend enger: er gilt nur im Rahmen des Baugesetzbuches, also nur für Straßen, Wege, Plätze, Grünanlagen, nicht aber für Elektrizität, Gas, Wärme, Wasser und Abwasser.

Ein folgenschweres Mißverständnis der hohen vertragsschließenden Seiten, das die heutige Situation bzgl. der Anschlußbeiträge für Wasser und Abwasser verschuldet hat.

Während für die Erschließung von Straßen bundesweit das Baugesetz gilt, wurde es versäumt, dieselben Regelungen für Wasser- und Abwasseranlagen in die kommunale Gesetzgebung aufzunehmen.

Der VDGN fordert deshalb die Regierung des Landes Brandenburg dringend auf, gemeinsam mit den anderen fünf neuen Bundesländern endlich Klarheit in dieser Frage herbeizuführen.

Entsprechend dem Einigungsvertrag müssen die fünf neuen Bundesländer und Berlin in Vertretung des untergegangenen Vertragspartners DDR über den Bundesrat auch für leitungsgebundene Ver- und Entsorgungsanlagen durchsetzen, dass für die vor dem Beitritt fertiggestellten Anlagen keine Beiträge mehr erhoben werden dürfen.

4. Das OVG- Urteil unterstellt, daß die zu DDR- Zeiten geschaffenen Abwasseranschlüsse sozusagen im rechtlosen Raum entstanden sind. Das ist nicht der Fall.

In der DDR wurden alle wasserwirtschaftlichen Anlagen von den volkseigenen Betrieben VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung (WAB) nach gesetzlich vorgegebenen Standards, den TGL (Technische Güte- und Lieferbedingungen) gebaut und betrieben.

Ein rechtloser Raum entstand allenfalls nach dem Beitritt zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990, als die VEB WAB untergegangen, die neue kommunale Rechtsform der Zweckverbände aber noch nicht geschaffen war. Die rechtskräftige Gründung der Zweckverbände zog sich noch über Jahre hin.

Die Rechtsgültigkeit der Beitrags- und Gebührensatzungen von Zweckverbänden ist eine Problematik, die bis heute noch immer wieder im Rahmen von Klageverfahren gerichtlich geklärt wird. Daraus ergibt sich aber für den Bürger, daß er nicht nachvollziehen kann, ab wann die Beiträge gemäß der Verjährungsfrist nicht mehr erhoben werden dürfen. Der Verjährungszeitpunkt kann dadurch sogar auf den „St.-Nimmerleinstag“ herausgeschoben werden.

Auch erhebt sich die Frage: Waren die „Institutionen“, die in dieser Übergangszeit die Gebührenrechnungen gestellt haben, überhaupt dazu berechtigt?

Der rechtsfreie Raum wurde nach Auffassung des OVG erst mit der rechtskräftigen Gründung eines Wasser- und Abwasserzweckverbandes beseitigt.

Wenn dem so ist, müßten die in dieser Übergangszeit von den Bürgern gezahlten nicht rechtskräftigen Gebühren rückerstattet werden.
Würde man diese auf die Einwohnerzahl der damaligen DDR bei einem Wasserverbrauch von 50 cbm pro Einwohner im Jahr hochrechnen, käme ein Milliarden- Betrag zusammen.

Ein Desaster – nicht nur für die Zweckverbände, nicht nur für Brandenburg sondern für alle fünf neuen Bundesländer.

5. Unsere Position zur Funktion des Oberverwaltungsgerichtes. Es stellt sich die Frage, wie der im Klageverfahren strittige Beitragssatz ermittelt wurde. Dies herauszufinden, gehört zur Amtsermittlungspflicht des Gerichtes.
Grundsätzlich muß dem beitragspflichtigen Bürger detailliert mitgeteilt werden, wofür er bezahlen soll. Auf Anfrage muß er auch die Möglichkeit erhalten, die zugrunde liegende Kalkulation zu prüfen. Schließlich kann ihm nicht abverlangt werden, Beiträge zu bezahlen, die er nicht zuordnen kann.

Es verstärkt sich der Eindruck, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Land Brandenburg im Vergleich zu anderen Ländern ein willfähriger Diener der Regierung ist.

6. Nach dem Urteil stellt sich die Frage, wie ernst es die Regierung mit dem Vertrauensschutz in diesem Lande meint.

Bürger und Wirtschaft können sich nicht mehr auf staatliches Handeln verlassen.

Die Rechtswirksamkeit einer kommunalen Satzung, die Einhaltung von Verjährungsfristen, die Rechtmäßigkeit, Angemessenheit und Höhe von Forderungen müssen sowohl im privaten als auch im geschäftlichen Leben langfristig verläßlich sein.

Die Verpflichtung der Zweckverbände, bereits Beitragsforderungen, die den Charakter der Verjährung aufweisen, nachträglich geltend machen zu müssen, widerspricht unserer Auffassung nach jedem rechtsstaatlichen Prinzip.

Fazit: Brandenburg ist ein Bundesland,

– das sich sittenwidrig und widerrechtlich tausende Grundstücke angeeignet hat;

– das es zuläßt, daß ein Zweckverband ohne Legitimation, aber mit Polizeischutz in ein privates Grundstück eindringt, dem Grundstückseigentümer seines Wassers beraubt und eine funktionierende Wasserrückgewinnungsanlage zerstört, obwohl er selbst nicht in der Lage ist, im Sommer ausreichend Trinkwasser bereitzustellen und seit Jahren den Ablauf seiner Kläranlage ungenehmigt auf Rieselfeldern entsorgt;

– das es zuläßt, daß trotz beantragter einstweiliger Verfügung Hausfriedensbruch bei diesem Grundstückseigentümer begangen wird, und der Richter, wie der Presse zu entnehmen war, den Vorgang zu den Akten legte, anstatt von Gerichtswegen die Staatsanwaltschaft einzuschalten. (Die Strafanzeige wurde inzwischen vom VDGN veranlaßt);

– das versucht, die eigenen Fehler einer ausgewählten Gruppe von Bürgern, den Grundstückseigentümern, nachträglich, unvorhersehbar und nach herkömmlichen Rechtsempfinden nicht nachvollziehbar aufzulasten und sie damit in den Ruin oder zumindest in die Fänge undemokratischer Kräfte zu treiben.

Das vorliegende OVG- Urteil würde, falls die Politik die Rechtsfolgen nicht zu verhindern imstande wäre, weitreichende Folgen nach sich ziehen:

Die Wasser- und Abwasserzweckverbände des Landes könnten dem Bürger nach Belieben immer wieder das schwer verdiente Geld aus der Tasche ziehen, um ihre Finanzen zu sanieren.

Für jedweden Eingriff in das Wassersystem- ob Verbesserung, Erweiterung oder Erneuerung- müßte der Bürger erneut zahlen.

Der VDGN fordert deshalb:

– Die „Erschließung“ in Sinne des Einigungsvertrages muß auch für die kommunalen, leitungsgebundenen Ver- und Entsorgungsanlagen gelten.

– Das Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg muß dahingehend geändert werden, daß die fehlerhafte Politik der vergangenen Jahre korrigiert und die entstandenen Lasten gleichmäßig auf die gesamte Gesellschaft verteilt werden.

– Das Land Brandenburg muß endlich erwachsen werden und sich zu einem Rechtsstaat entwickeln.